Chamorga

Zuerst führt uns der Weg nach Tacoronte. Fangen wir mit dem Obst- und Gemüsemarkt von Tacoronte an. Wir betreiben nun sozusagen Markt – Forschung. Mit mehr oder weniger Erfolg, denn in diesem Menschengedränge ist es gar nicht so einfach, unter der Armbeuge des Nachbarn noch einen schnellen Blick auf das Preisschild der Äpfel zu erhaschen. Von hier können Sie alles mitnehmen, was zu einem anständigen Marktbesuch gehört: Insel-Weine, Backwaren, Gemüse, Obst, Blumen, Lotterie-Lose, Touristen, Platzangst, leere Brieftaschen, Rippenprellungen, gute Laune und vieles mehr. Die Preise spotten jeder Beschreibung: So billig hatten wir auf Teneriffa noch nie eingekauft. Es lohnt sich also!

Weiter geht es auf dem Weg in Richtung Tejina durch das „Valle de Guerra“ bis wir schließlich den Ort Tegueste erreichen, der außer einem Radiosender (FM 107), einer eigenen Arena für „Lucha Canaria“ (trad. kanarische Ringkampfart) und einigen Restaurants (einige gut, andere teuer; Tip: Casa Arturo) nicht viel mehr zu bieten hat. Tegueste ist landwirtschaftlich ausgerichtet. Hauptsächlich Kartoffeln und Wein werden angebaut. In den letzten Jahren förderte man den Anbau von Gemüse und Blumen in Gewächshäusern, was die Rentabilität steigerte.

Raus aus Tegueste und in Richtung Las Canteras, wo wir dem Wegweiser in Richtung Las Mercedes folgen und damit auf dem eigentlichen Wege sind, der uns ans Ende der (Insel-)Welt führen wird.

Schon einige Meter nach dem Örtchen Las Canteras tritt finsterer Wald bis an den Straßenrand heran. Die hochaufragenden Bäume nehmen dem Betrachter das Licht und die plötzliche Finsternis wirkt noch verstärkt durch das trübe Wetter und die Wolken, die nun schon seit einigen Tagen den Nordwestteil der Insel bedecken. Abgründe und Schluchten zerklüften die Landschaft. Pflanzen und Bäume scheinen aus dem schieren Fels hervorzuwachsen. Irgendwie unwirklich wirkt die Atmosphäre. Vielleicht, weil sie so wenig mit dem Image einer Palmeninsel zu tun hat und eher in den Schwarzwald passen würde?!

An der nächsten Kreuzung, an der es links nach El Batán geht, wie ein Schild verdeutlicht, fahren Sie weiter auf der TF 1123 in Richtung „Mirador Cruz del Carmen“. Die Aussicht hier in 1.000 Metern Höhe zeigt Ihnen sogar Santa Cruz, wenn das Wetter mitspielt und Sie nicht durch Nebelschwaden fahren, wie wir an diesem Tag. Lassen Sie auch die nächsten zwei Abzweigungen nach links aus. Wir fahren weiter in Richtung El Bailadero und durch eine Ansammlung von einigen Häusern, mit viel gutem Willen als Dorf zu bezeichnen, namens Casas de la Cumbre (etwa: Häuser auf dem Bergrücken). Eine eigene Schule hat dieser Fleck – man soll es kaum für möglich halten! Nun ja, der Schulweg wäre auch sonst ganz schön weit.

Wieder in der Wildnis und dem Wald finden Sie am linken Straßenrand bald einen kleinen Rastplatz mit einem aus Stein gemauerten Grill, Holztischen und -bänken. Sehr praktisch! Sie erreichen El Bailadero und folgen der Straße TF 1122 nach Chamorga, ohne sich von der Abzweigung nach Taganana verunsichern zu lassen.

Ab sofort wird es ein wenig abenteuerlich! Die Straße wird immer enger und die Abgründe rücken näher an die Beifahrertür heran. Als Konsequenz rückt die Beifahrerin immer näher an den Fahrer – ein nicht beabsichtigter, aber keineswegs unangenehmer Effekt, der jedoch die Bewegungsfreiheit etwas beschränkt. Das einzige Bauwerk weit und breit, ein Restaurant mit der internationalen Bezeichnung „El Balcón“, steht an einem Aussichtspunkt, der Mirador El Bailadero-Vista Taganana genannt wird. Es ist in einer Tarnfarbe gestrichen: Ein wirklich scheußliches Grün.

Mitten in der Wildnis, halb zwischen Bäumen versteckt, kurz darauf ein Bus-Haltestellen-Schild: Das System der öffentlichen Verkehrsmittel auf Teneriffa ist so beschaffen, daß sich manche hochentwickelte Industrienation eine dicke Scheibe davon abschneiden könnte. Danach wieder ein Abzweig … Chamorga, 2 km … na, endlich! In Kilometern gemessen ist dieser Ausflug gar nicht so lang – aber er zieht sich wie Strudelteig! Ob sich die Mühe am Ende bezahlt macht? Wir werden es gleich erleben, denn nur noch wenige Minuten trennen uns vom Nordostende der Insel. Nach 13 km autofreier Straße erwartet uns nicht etwa ein idyllisches Berg- , Verzeihung, Taldorf, sondern zunächst einmal ein Reisebus voll mit deutschen Urlaubern. Mußte das jetzt sein? Das ganze Abenteuer ist zum Teufel, wenn man feststellt, daß eine Touristenhorde (merke: Touristen sind immer die anderen!) schon vorher da war.

Dafür aber ist der zweite Eindruck sehr freundlich. Chamorga ist ein verlassen wirkendes Dörfchen. Ruhig und verträumt liegt es in einem Tal, das dem Schlaf früherer Jahrhunderte zu entstammen scheint. Eine alte Frau sitzt in der Tür eines der Häuser und schaut beinahe regungslos auf die umherlaufenden Urlauber, die beinahe alles knipsen, was ihnen vor die Linse gerät. Was mag sie denken? Hat sie Verständnis für die Änderungen, die der Tourismus ihrem Dorf brachte?

Na, wenigstens wird hier offensichtlich auch von den Besuchern die Ruhe respektiert. Tiefe Stille herrscht in diesem Ort, nur ab und zu vom Surren des automatischen Filmtransports oder dem „Ohhh!“ einer Urlauberin unterbrochen, die ein neues Motiv entdeckt hat. Chamorga hat nur wenig mehr als 100 Einwohner. Von hier aus erreichen Sie über einen Fußweg durch die Schlucht abwärts einen sehr schönen einsamen Strand (nicht weitersagen, gell!). Ein wenig oberhalb des Strandes steht ein Leuchtturm. Vielleicht ist der Leuchtturmwärter so nett und läßt Sie den Turm besteigen. Aus dem Turm heraus haben Sie einen fantastischen Blick (für Notfälle: der Leuchtturm hat auch Telefon).

Haben Sie bei Ihrem eigenen Besuch in Chamorga erlebt, was in Worte nicht zu fassen ist? Sehen Sie, deswegen verabschieden wir uns auch an dieser Stelle von Ihnen und wünschen einen guten und sicheren Heimweg in das, was oft mit zweifelhafter Berechtigung Zivilisation genannt wird. Fahren Sie vorsichtig, bitte!